OZ: 3170 Jahre stehen auf der Bühne

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Jubilaren-Ehrung: Langjährige Aktive der Gesangvereine der Bergsträßer Sängerkreise in der Wald-Michelbacher Rudi-Wünzer-Halle ausgezeichnet

Am 29.03.2022 erschienen in der "Odenwälder Zeitung"  - www.wnoz.de

WALD-MICHELBACH. Was war das für ein Loblied für den Chorgesang, das in der Rudi-Wünzer-Halle in Wald-Michelbach gesungen wurde. Und das durchaus wörtlich, denn neben den Ehrungen für lang gediente Jubilare unterhielten der örtliche MGV Union und der MGV Sängerbund Unter-Schönmattenwag die Gäste der Sängerkreise aus dem Kreis Bergstraße mit ihren Vorträgen. Beide waren auch Ausrichter der sehnsüchtig erwarteten Veranstaltung, durfte man sich doch endlich mal wieder in größerer Runde treffen.

Stolze 3170 Jahre Chorgesang kamen bei den Ehrungen zusammen, hatte Landrat Christian Engelhardt ausgerechnet. Die jüngsten der Ausgezeichneten sind 50 Jahre dabei, der älteste 75 Jahre. Auch die anderen Redner würdigten diesen jahrzehntelangen Einsatz für das Liedgut und die Geselligkeit. Auf der anderen Seite steht es um die Zukunft der Chöre nicht unbedingt zum Besten, gab es ein ums andere Mal den mahnenden Zeigefinger, sich rechtzeitig gut für die Zukunft aufzustellen. Doch erst einmal überwog die große Freude, das Treffen überhaupt durchführen zu können – ausgesprochen vom Vertreter des MGV Union, Rainer Killiches.

Musikalisches Spannungsfeld

Musikalisch ging es den beiden Chören darum, ein musikalisches Spannungsfeld aufzubauen, wie deren Dirigent Hans-Joachim Karl, seines Zeichens auch Kreischorleiter, erläuterte. Unions-Vorsitzender Alexander Rudolf bezeichnete die vergangenen beiden Jahre als nicht einfach für Chöre. „Umso wichtiger ist es, dass wieder gesungen werden darf“, betonte er. Ohne fleißige Helfer könnte eine solche Veranstaltung nicht stattfinden, richtete er auch im Namen seines Kollegen Christian Jöst Dankesworte an diese. Aus Unter-Schönmattenwag hatte er noch den Kinderchor unter Leitung von Katharina Zink mitgebracht, der vor dem Ehrungsreigen ebenfalls Lieder zum Besten gab.

Die Jubilaren-Ehrung bezeichnete der Landrat als eine „schöne Tradition in der Bergsträßer Chorwelt“. Er hob hervor, dass ein Drittel der Ausgezeichneten bereits 70 oder 75 Jahre lang aktiv singt. Ein Hobby, von dem Engelhardt weiß, dass es die Seele beflügelt. Er verwies daneben auf die Bedeutung der Chorgemeinschaft und des Liedguts für die Identität der Bevölkerung.

Darüber hinaus sei Singen „Ausdruck der Freiheit“, schlug er einen Bogen zu den aktuellen Ereignissen. Gerade die Älteren hätten noch Erinnerungen an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Er wies auf Bedeutung und Kraft des Gesangs auch in den baltischen Staaten hin, die im Zuge ihres Strebens nach Unabhängigkeit Anfang der 1990er-Jahre darüber ihr Nationalbewusstsein definierten. Nicht umsonst wurde von der „singenden Revolution“ gesprochen. „Musik kann wunderbar unpolitisch sein und Freude machen.“ Sie kann aber auch den Wunsch nach Freiheit ausdrücken. Damit verband er seinen Wunsch, dass sie in Zukunft wieder in Gesellschaft erlebt werden kann. Denn das bringe die Menschen wieder zusammen, schaffe Gemeinschaft.

Zum Schluss seiner Worte gab es noch Glückwünsche für das 75-jährige Bestehen des Sängerkreises Bergstraße an Heinz Ritsert, ausgesprochen auch durch dessen Kollegen von der Vereinigung Weschnitztal-Überwald, Wolfgang Schlapp. Der appellierte an die Vereine, Veränderungen zu akzeptieren und Neues zu tun. Das hätte bereits viel früher passieren müssen. Denn laut Schlapp ist nichts schlimmer als ein schleichender Prozess. „Der verleitet, so lange untätig zu bleiben, bis es zu spät ist.“

Die Gesangvereine mussten das in den vergangenen Jahren schmerzlich erfahren. Nicht erst seit Corona werden es immer weniger. Die Pandemie allerdings traf sie in besonderer Weise. Sie nagte an ihnen, „wie das Meer den Sand abträgt“, sagte Schlapp. Er bezeichnete es „fast als kleines Wunder“, dass so viele jetzt doch aufs Neue starten. Auch wenn es weniger Chöre geworden seien: „Wir singen trotzdem“, gab sich Schlapp unverzagt. Denn seiner Meinung nach können zwölf beherzte Stimmen mehr bewirken als 25 verzagte.

Die Aufgaben würden aber nicht weniger. Die jüngeren Mitglieder müssten sich anstrengen, um das Erbe des Chorgesangs an die nächste Generation weiterzugeben, fordert er. Mut, Ausdauer und Zähigkeit seien die Chance dafür. Schlapp würdigte den Einsatz der Jubilare, die seit zwei oder drei Generationen „segensreich in den Chören wirken“. Die älteren gestalteten nach 1945 den Wiederaufbau aktiv mit, blickte er zurück. „Sie waren Leuchtturm und Wegweiser für die Zeitgenossen, ohne sie sähe die Welt anders aus“, hob er hervor.

Grußworte an die Versammlung richteten auch Bürgermeister Dr. Sascha Weber und der Kreistagsvorsitzende Joachim Kunkel, der hier ein Heimspiel hatte. tom